Sehnsucht nach der Wüste
Ich wollte in die Stille der Wüste zurück.
Zwei Wochen Tunesien, eine Woche Sahara, eine Woche Südtunesien.
Stattdessen erwarteten mich Sandstürme, Hundebabys, ein Star-Wars-Iftar – und eine neugierige Schlange.
Warum mich das trotzdem glücklicher gemacht hat als jeder durchgeplante Urlaub?
Lies selbst.
Manchmal kann es auch zu viel Sand sein
23.04. – 09.05.22
Nur zwei Monate nach meinem letzten Aufenthalt in Tunesien stand ich wieder am Flughafen Djerba. Mounir erwartete mich bereits mit einem breiten Grinsen.
Die Sahara hatte mich nicht losgelassen. Ich musste zurück – in diese unendliche Ruhe, die Stille, die Dünen.
Zwei Wochen Tunesien. Eine Woche Wüste. Eine Woche in Mounirs Heimat – und ganz viel Herz.
Die Wüste hatte ihre ganz eigene Vorstellung davon, was „Erholung“ bedeutet.
Warten auf die Wüste: Sandsturm statt Stille
Früh am Morgen wurde ich vom Wind geweckt, der laut ums Haus pfiff. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir nichts Gutes. Die Luft war trüb, bräunlich – Sandsturm.
Mounir schlug vor, bis zum nächsten Tag zu warten. Ich war nicht begeistert, aber selbst mir war klar, dass ein Aufenthalt in der Wüste jetzt wohl nicht so prickelnd wäre. Nach nur wenigen Minuten draußen knirschte der Sand zwischen den Zähnen und meine Augen brannten.
Als Entschädigung zeigte mir Mounir eine Überraschung. Auf dem Nachbargrundstück standen noch die Ruinen eines Hauses und davor – Hundebabys! Zuckerschock! So süß die Bande. Fünf Stück, zwei Monate alt und aufmerksam von der Mutter beobachtet. Die nächste Zeit war ich erstmal mit Hundeknuddeln beschäftigt. Die Kleinen waren sehr zutraulich, an Menschen gewöhnt. Einer hatte es mir besonders angetan. Mounir hatte ihn Chibu getauft und dachte darüber nach, ihn zu behalten. Natürlich habe ich ihn in diesem Vorhaben bestärkt.
Es gab noch mehr Tiere zu besuchen. Ein Dorf weiter hatte Bechir, Mounirs Bruder, ein paar Hasen und wir fuhren hin, um sie zu füttern. Im Gegensatz zu den Hunden waren die Hasen sehr scheu und verdammt schnell. Keine Chance zum Knuddeln. Aber wahrscheinlich war das für mein Gemüt auch besser. Es gab zwar mir gegenüber keiner zu, aber es war klar, dass sie irgendwann geschlachtet werden würden.
Gegen Mittag fuhr mich Mounir nach Douz, damit ich etwas essen konnte. Es war gerade Ramadan, aber ich hatte nicht vor zu fasten. Das will auch keiner, hungrig werde ich sehr schnell schlecht gelaunt.
Das Les Palmiers wurde schnell zu meinem Lieblingsrestaurant in Douz. Ist es heute noch. Sehr leckeres Essen und ein total schönes Lokal, vor allem der Innenhof. Das Personal ist sehr freundlich, aber leider sprechen Besitzer und Angestellte nur Französisch und Arabisch, aber dank Übersetzer kam ich klar.
Nachmittags besuchten wir noch das Sahara-Museum. Ein kleines, aber feines Museum, das sich auf die Kultur der tunesischen Sahara konzentrierte.
Ein verschobener Wüstentraum, der trotzdem voller Leben steckte.
Wüstenfüchse und Weltraumwelten
Der Sandsturm hielt uns noch länger in Douz fest. Nach zwei Tagen schlug Mounir vor, mir jetzt Südtunesien zu zeigen und dann nach dem Zuckerfest in die Wüste zu gehen. Ich war sofort einverstanden, und unser erstes Ziel war Tozeur.
Wir fuhren durch den Chott El-Djerid, den großen Salzsee, wo wir ganz touristisch einen kurzen Fotostopp machten. Es war sehr windig – ich habe den Chott El-Djerid übrigens noch nie ohne Wind erlebt. Aber es war auch sehr interessant. Ich hatte sowas noch nie zuvor gesehen, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Irgendwo habe ich gelesen, dass Karl Mays „Durch die Wüste“ genau hier spielt, also zuhause erst einmal das Buch gekauft.
Tozeur hat mir sofort gut gefallen. Typisch für die Stadt sind Deglet Nours, beigefarbene Ziegelhäuser mit Mustern aus diesen Ziegeln, die heute noch in Tozeur hergestellt werden. Im Gebiet um Tozeur gibt es über 200.000 Dattelpalmen und die Bergoasen sind wirklich ein Highlight. Aber dazu später mehr.
Eine kurze Siesta im Hotel und weiter Richtung Nefta. Vorbei am Onk Jamal, dem Kamelkopf. Der Felsen hat seinen Namen, weil er wie ein Kamelkopf aussieht – ein bisschen Fantasie braucht man allerdings schon. Vater und Sohn hatten dort einen Souvenirstand, allerdings waren wir die einzigen Besucher. Für mich ging dort ein Traum in Erfüllung, im Nachhinein leider mit Beigeschmack.
Ich wollte schon immer einen Wüstenfuchs sehen. Diese riesigen Ohren, der zarte Blick – zu niedlich, um wahr zu sein. Als der Junge mir seinen Fennek auf den Arm setzte, war ich sofort verliebt. Ein paar Dinar für ein magisches Foto? Klar. Ich wollte glauben, dass er ihn gerettet hatte, vielleicht verletzt gefunden. Manchmal kann ich wirklich naiv sein.
Erst Tage später las ich im Reiseführer, wie es wirklich läuft: Die Tiere werden gezielt gefangen, gezähmt und durch die Kulissen geschleppt – nur für ein paar Fotos und Dinar. Ich war also nicht die Heldin dieser Begegnung. Ich war Teil des Problems. Und das brannte mehr als jeder Sandsturm im Gesicht.
Die Kulisse von Mos Espa, der Ort an dem Anakin Skywalker aufgewachsen ist, erwartete uns. Ich bin jetzt nicht der riesiege Star Wars Fan, aber ich kenne alle Filme und mag sie, Auf jeden Fall war es interessant, die Kulisse zu sehen und ich konnte mich sofort in den Film hineinversetzen.
Und dann – eines meiner Highlights aller Reisen. Zwei ältere Männer betrieben die Kulisse und da es kurz vor Sonnenuntergang war, luden sie uns zum Iftar, dem Fastenbrechen, ein. Und da saß ich dann wenig später mitten in der Star Wars Kulisse beim Iftar. Die Männer unterhielten sich auf Arabisch, ich saß stumm daneben und genoss einfach nur den für mich ungewöhnlichen Moment. Mein erstes Iftar und das in diesem besonderen Ort.
Manchmal braucht es einen Wüstenfuchs, um einem die Augen zu öffnen.
Schluchten und Wasserfälle
Am nächsten Tag ging es zu den Bergoasen. Chebika – ich war inzwischen schon öfter dort und bin immer noch genauso begeistert wie beim ersten Mal.
Ein kleines Stück den Berg hoch durch die Ruinen des alten Dorfes. Von oben dann der Blick auf die zahlreichen Palmenwälder. Auf der anderen Bergseite geht es wieder bergab, entlang an einem kleinen Bach, bis zu einem Wasserfall.
Nächste Oase – Tamerza. Wieder Wasserfall, etwas größerer Bach, aber es sah doch alles ganz anders aus. Ich hatte mal wieder eine meiner tollen Ideen und wollte ein Stück im Wasser entlanglaufen, um ein Stück weiter noch Fotos zu machen. Ich hatte nicht erwartet, bis über die Knie im Schlamm zu versinken.
Während ich mit den zahlreichen Katzen spielte, die dort lebten, unterhielt sich Mounir mit einem jungen Mann. Es stellte sich heraus, dass sie quasi Kollegen waren. Der Mann arbeitete in Tozeur und Umgebung als Guide und würde uns noch mehr zeigen.
Zuerst fuhren wir an einem weiteren Fluss entlang und manchmal auch hindurch. Nur ein paar Zentimeter Wasserhöhe, aber der Allradantrieb war ganz hilfreich.
An einer Schlucht hielten wir an und mir schoss sofort ein Gedanke durch den Kopf – der Grand Canyon in klein.
Schon da wurde mir klar, dass ich noch nie ein Land so unterschätzt hatte wie Tunesien. Ich hatte niemals so eine schöne Natur erwartet.
Wir liefen ein bisschen die Schlucht entlang und schlugen einen Bogen bis zum Fluss zurück, an dessen Ende uns wieder ein Wasserfall erwartete.
Mides war die letzte Oase auf unserem Weg. Sie ist die höchstgelegene der Bergoasen und der Blick in die Schlucht ist einfach atemberaubend.
Ganz klar, Südtunesien hat noch so viel mehr als die Sahara zu bieten.
Warmes Wasser aus dem Wüstenboden
Am nächsten Tag fuhren wir nach Ksar Ghilane, einer weiteren Oase. Aber einer ganz besonderen.
Wir hielten an einer Quelle, die aus der Erde sprudelte. Zu meiner Überraschung war das Wasser angenehm warm. Diese Quelle speist die Oase und überall ist das Wasser warm, sogar in den beiden Schwimmbecken. Ich war begeistert.
Bei einem Spaziergang durch die Oase trafen wir einen Cousin von Mounir, der uns gleich zum Abendessen einlud.
Warmes Wasser - was für ein Luxus.
Zuckerfest
Zum Zuckerfest hatte der Wind ein bisschen nachgelassen, aber es war immer noch viel Sand in der Luft.
Bechirs Grundstück war von einer ca. zwei Meter hohen Mauer umgeben. Trotzdem hatten wir mittlerweile unsere eigene kleine Düne auf der Terrasse.
Mounir fuhr an diesem Morgen schon früh zu seiner Familie. Freunde, Familie und Nachbarn würden sich gegenseitig besuchen. Mir bescherte das einen freien Vormittag und ich genoss, mal etwas Zeit für mich zu haben.
Am Nachmittag fuhren wir ein Stück in die Wüste hinein und abends trafen wir uns mit Freunden von Mounir zum Grillen.
Morgens chillen - abends grillen.
Kamele, Hitze – und eine Schlange an meinem Hintern
Endlich war es soweit. Ameur kam mit seinen Kamelen vorbei und dann ging es Richtung Wüste.
Es war Anfang Mai und schon ganz schön heiß. Rischa, der Windhund von Mounirs Cousin, rannte nicht mehr so übermütig wie im Februar neben der Karawane her. Wir beide bildeten das Ende der Karawane.
Es wurde immer heißer, der Schweiß mischte sich mit Sand, der immer noch unaufhaltsam durch die Wüste fegte. Rischa hechelte laut neben mir und als wir an ein paar Büschen vorbeikamen, legte sie sich in den Schatten und sah mich an – kein Meter mehr, sagte ihr Blick. Ich war völlig ihrer Meinung und dankbar für die Pause.
Den Rest des Weges ritt ich weiter. Natürlich bequemer als laufen, aber auch noch mehr Sand im Gesicht.
Nach einem weiteren leckeren Mittagessen von Ameur war Siesta-Zeit. Wir hatten alle schon nach kurzer Zeit eine Sandschicht auf uns.
Ich beneidete die Kamele. Wie immer mit stoischer Ruhe störte sie weder Wind noch Hitze. Ich bin immer wieder fasziniert, wie überragend diese Tiere an ihren Lebensraum angepasst sind.
Am Abend saßen wir wie immer ums Feuer. Mounir trug seine Stirnlampe und ließ den Lichtkegel unruhig über den Sand wandern.
Plötzlich sagte er ganz ruhig – fast beiläufig, aber mit Nachdruck: „Steh jetzt ganz langsam auf und geh ein paar Meter weg von hier.“ Ich tat einfach, was er sagte – ohne groß nachzudenken.
Sekunden später schlugen er und Ameur mit Stöcken auf eine Decke ein, die sie hastig auf den Boden geworfen hatten. Dann hob Ameur seinen Stock – am Ende baumelte eine Schlange. Tot.
„Ihr habt eine Schlange getötet?“ Ich war mehr entsetzt als erschrocken. Ich liebe Schlangen. Zuhause lebt eine Kornnatter bei mir im Terrarium.
Mounir seufzte: „Ja. Und sie war giftig. Und sehr nah an deinem Hintern.“
Ich realisierte erst im Nachhinein, wie brenzlig die Situation gewesen war. Während ich da noch seelenruhig gesessen hatte, hätte ein Biss ganz andere Konsequenzen gehabt. Hätte ich die Schlange zuerst gesehen, hätte ich sie wahrscheinlich gestreichelt und ein Biss wär mir sicher gewesen.
In Tunesien sind fast alle Schlangen giftig. Aber sie trauen sich normalerweise nicht an die Lagerplätze. Nur wenn es ziemlich heiß ist, kann das mal passieren. Mounir hat es allerdings noch nie erlebt, dass jemand gebissen wurde. Aber auch darauf war man vorbereitet. Mit Satellitentelefon würde man den Hubschrauber rufen und dann sofort ab ins nächste Krankenhaus mit Gegengift. Und was war mein erster Gedanke, als ich das erfuhr? Cool, mit einem Hubschrauber wollte ich auch schon immer fliegen.
Auf jeden Fall hat Mounir darauf bestanden, dass ich die Nacht im Zelt schlafen würde. Es war eine sehr ungemütliche Nacht. Der Wind pfiff ums Zelt und wäre ich nicht drin gelegen, wäre es wahrscheinlich weggeflogen.
Wie gewohnt ging es am nächsten Tag weiter. Die Stimmung war nicht so gelöst wie sonst. Vor allem Mounir wirkte angespannt. Er erklärte mir später, dass er nicht in der Lage war, Tierspuren zu sehen. Der Wind wehte alles gleich wieder zu. Nach dem Mittagessen beschlossen wir, wieder nach Hause zu gehen. Ich war enttäuscht, aber ich konnte es auch verstehen. Es war wirklich nicht witzig, im Sandsturm durch die Wüste zu laufen.
Zu viel Wind - zu wenig Wüste, aber neue Erfahrungen.
Fazit
Auch wenn die Wüste mir dieses Mal weniger Zeit schenkte als gehofft – Tunesien hat mir dafür umso mehr gezeigt, wie vielseitig es wirklich ist.
Zwischen Sandsturm und Salzsee, Bergoasen und Hundebabys, Iftar und Grillen in der Wüste war da so viel echtes Leben.
Ich bin nicht nur zurück in die Sahara gereist – ich bin auch ein Stück tiefer ins Land, in seine Geschichten und Widersprüche eingetaucht.
Vielleicht war genau das mein größtes Abenteuer – ganz ohne Plan, aber mitten im Leben.