Versöhnung mit Paris
14.04.2018
Manche Städte brauchen einen zweiten Blick.
Ich wollte Paris keine neue Chance geben – und hab’s trotzdem getan. Was ich zurückbekommen habe? Eine versöhnliche Überraschung.
Paris – zweite Chance für eine alte Bekannte
Paris und ich – das war nie Liebe auf den ersten Blick.
Es war nett, klar. Beeindruckend sogar. Aber irgendwie fehlte der Funke. Andere Städte hatten mich viel mehr in den Bann gezogen: Rom, London, Budapest, Wien.
Und doch buche ich Jahre später eine Nachtfahrt – 15 Stunden Paris, Freitagabend hin, Samstagnacht zurück. Ich nehme mein altes Vorurteil mit in den Busbahnhof von Düsseldorf. Und lasse mich
überraschen.
Paris und ich – kompliziert. Aber hey, unkompliziert kann schnell langweilig werden.
Diesel, Dämmerung und die Stadt der Lichter
Freitagabend, Busbahnhof Düsseldorf. Es ist spät, die Luft riecht nach Diesel und Fernweh.
23:30 Uhr. Der Motor brummt, der Bus setzt sich in Bewegung. Eine Nachtfahrt gen Paris.
Gegen acht Uhr morgens rollen wir über nasse Straßen in die Stadt der Lichter. Ein Frühstücksstopp liegt hinter uns, ein feiner Nieselregen vor uns. Ich bin kein Fan von geführten Touren – aber heute bleibe ich sitzen. Stadtrundfahrt im Bus, warum nicht?
Es war die richtige Entscheidung. Kurzweilig, informativ – zwei Stopps zum Fotografieren inklusive. Als wir am Eiffelturm ankommen, beginnt mein eigenes Programm.
Wenn mich Paris beeindrucken wollte, wählte es Nieselregen als Charmeoffensive. Mutig.
402 Stufen zum Herzschlag
Die Ile de la Cité – Herz und Wiege von Paris. Schon die Kelten siedelten hier, später machten die Römer daraus das Zentrum Galliens.
Ich schlendere durch enge Gassen, lasse mich treiben. Mein Ziel ist klar: Notre-Dame.
Beim letzten Mal war ich nur davorgestanden. Diesmal will ich hinein und reihe mich in den endlosen Strom der Touristen ein. Die Größe ist überwältigend – und die Stille laut. Kirchenbedienstete versuchen mit „pssssst“ die Geräuschkulisse zu zähmen. Ironischerweise ist genau das das Lauteste.
Mein eigentliches Ziel sind die Türme. Früher ein Geheimtipp – inzwischen zieht man Nummern. Kleine Gruppen dürfen hoch. Verständlich: Die Wendeltreppe ist eng, der Aufstieg fordernd. 402 Stufen.
Zwischendurch ein Souvenirladen – Fluch und Segen zugleich. Eine kurze Verschnaufpause, dann geht’s weiter. Kein Platz zum Anhalten, außer für Gedanken. Und dann, kurz vor dem Ziel, ruft ein kleiner Junge: „Mummy, I can see the sky.“ Ich mobilisiere meine letzten Kräfte.
Oben angekommen liegt Paris zu meinen Füßen. Die Aussicht ist spektakulär. Ich stehe Auge in Auge mit Wasserspeiern. Da ist dieses Gefühl, dass Quasimodo gleich um die Ecke kommt, um seine Besucher zu begrüßen. Aber ist wohl gerade mit Esmeralda in der Stadt unterwegs.
Fast genau ein Jahr später wird Notre-Dame brennen. Ich werde die Nacht vor dem Fernseher verbringen und hoffen, dass die Türme überleben.
Und genau in diesem Moment dort oben – da hat Paris zum ersten Mal mein Herz berührt.
Stille Bänke, glänzende Dächer
Vom Trubel der Türme in eine Oase der Ruhe: Place des Vosges. Der älteste königliche Platz von Paris – und vielleicht der
schönste.
Ich finde eine freie Bank, atme durch. Menschen beobachten, Akkus aufladen – innerlich wie am Handy.
Danach ein Wechsel der Welten: Galeries Lafayette. Das Stammhaus der französischen Warenhauskette ist ein Konsumtempel mit Geschichte. Ich nutze ihn für einen Perspektivwechsel: Die kostenlose Dachterrasse bietet einen grandiosen Blick über die Pariser Dächer.
Ein kurzer Gruß an die Alte Oper – dann folgt mein traditionelles Ritual: ein Besuch im Hard Rock Café.
Einmal Ruhe, einmal Routine – beides ist Paris.
Weißes Wunder auf dem Hügel
Paris hatte mich nie gepackt – mit einer Ausnahme: Sacré-Cœur. Diese Kirche hatte mich schon immer fasziniert.
Vielleicht liegt es an ihrer Farbe. Ich habe eine Schwäche für weiße Gebäude. Die Basilika ist aus Travertin gebaut – einem Kalkstein, der mit jedem Regenschauer noch heller wird. Während andere Bauwerke altern, wird Sacré-Cœur strahlender.
Hoch oben auf dem 130 Meter hohen Hügel von Montmartre thront sie stolz über Paris. Nicht nur sie selbst ist ein Anblick – der Blick von oben ist es auch. Bei gutem Wetter reicht er bis zum Horizont. Die Stadt liegt einem zu Füßen.
Und endlich ein Stückchen blauer Himmel. Zum ersten Mal an diesem Tag. Ich lächle.
Netterweise bringt mich eine Zahnradbahn nach oben. Auf noch mehr Treppen verzichte ich. Die Kuppel? Ein anderes Mal.
Stattdessen lasse ich mich durchs Viertel treiben. Künstler, kleine Cafés, Kopfsteinpflaster. Und am Ende – fast schon kitschig – die „Rote Mühle“.
Sacré-Cœur war immer meine heimliche Liebe in Paris – und heute flammte sie wieder auf.
Blut, Bilder, Blinkerlichter
Der Place de la Concorde – heute ein Ort mit Brunnen und Obelisk. Damals: ein Platz der Hinrichtungen. Hier verloren Ludwig XVI., Marie Antoinette und über tausend andere während der Revolution ihren Kopf.
Geschichte, die man spürt.
Ich gehe weiter durch den Jardin des Tuileries, der Regen wird wieder stärker. Am Ende: der Louvre. Seine gläserne Pyramide spiegelt sich in Pfützen. Nachtfotos hatte ich geplant – mein Stativ den ganzen Tag mitgeschleppt. Doch das Wetter hat andere Pläne.
Stattdessen: noch eine letzte Stadtrundfahrt. Paris bei Nacht. Die Lichter, die Spiegelungen, der Fahrtwind – kitschig? Vielleicht. Aber auch wunderschön.
Als wir losfahren, sitze ich still im Bus. Müde – und seltsam versöhnt.
Fazit:
Paris und ich – das wird wohl nie eine Hollywood-Romanze.
Aber diesmal hat es sich immerhin wie ein nettes zweites Date angefühlt.
Keine großen Gefühle, aber deutlich weniger Vorurteile. Die Stadt war freundlicher, offener, wärmer als in meiner Erinnerung.
Vielleicht lag’s am Wetter. Oder am Croissant. Oder daran, dass wir beide älter geworden sind.
Manchmal lohnt es sich, alten Geschichten eine neue Chance zu geben.